Eugen Raportorus Weg als Künstler ist in all seinen
Nuancen signifikant, von den Begegnungen mit einem großen Maler, einem
echten Mentor, als Raportoru noch ein Teenager war, bis hin zu der
späten Entscheidung im Alter von 45 Jahren ein Studium der Malerei an
der Universität Bukarest, Rumänien, aufzunehmen. Der 1961 geborene
Künstler ist das jüngste von acht Kindern.Raportoru wusste schon früh,
dass er Künstler werden und Geschichten über reale Ereignisse mit dem
Pinsel auf der Leinwand erzählen wollte. Seine Mutter, eine Romni, die
als Kind die Schrecken der Deportation erlebte, war sein Leuchtturm auf
dem Meer, als er sich in den sechziger Jahren unter dem Kommunismus in
den ungerechten sozialen Gewässern des osteuropäischen Blocks bewegen
musste.
Er arbeitete unabhängig, war Autodidakt, und als er 45 Jahre alt war und
immer noch nicht von der lokalen Künstlergemeinschaft anerkannt wurde,
ging er an die Hochschule, um mit 50 seinen Abschluss zu machen.Der
Informationsfluss, der sich ihm bot, als er die Mechanismen der
Kunstwelt kennenlernte und seine Ansichten erweiterte, bestimmte eine
Reihe von Entscheidungen in seinem künstlerischen Schaffen. Heute ist
Raportoru dabei, die Grenzen immer weiter zu verschieben. In gewisser
Weise befindet er sich immer noch im Destillationsprozess, nachdem er
mit Kiefers monumentaler Malerei experimentiert hat, die das Trauma der
Pogrome der jüdischen Gemeinden während des Zweiten Weltkriegs
behandelt, oder mit Baselitz, der große Leinwände mit Ungestüm
behandelt, oder mit Kapoor mit seinen monumentalen biomorphen
Gipsskulpturen.
Er war ein begeisterter Liebhaber der alten ästhetischen Schönheit, wie
sie ihm seine älteren (inzwischen verstorbenen) Meister beigebracht
hatten: Blumentöpfe und romantische Landschaften. Aber sein wirkliches
Universum war von hartem Kampf geprägt, und deshalb sind seine
Landschaften grau und die Blumen verbergen eine gewisse Traurigkeit in
sich. Als er in den 2000er Jahren zum ersten Mal die Biennale von
Venedig besuchte, war er wie verzaubert, und er malt bis heute solche
Bilder. Aber hin und wieder zeigt er die Mahala (Kiez), in der seine
Seele Frieden findet, das multiethnische Sozialgefüge, in dem die
Nachbarn wie in einer großen Familie nebeneinander leben und als Gruppe
fast alles teilen: Raum, Erinnerungen und oft auch das Essen. Dies ist
sein fester Boden.
Zurück in die Gegenwart: Im Jahr 2022, bei seiner Rückkehr nach der
Eröffnung der Roma Collateral Exhibition in Venedig, die vom ERIAC
(European Roma Institute for Arts and Culture in Berlin) organisiert
wurde, taucht Raportoru unter und arbeitet intensiv an Gelem, Gelem,
einem Projekt, das bereits seit zwei Jahren in seinem Hinterkopf geplant
war. In diesem Jahr jähren sich zum 78. Mal die grauenvollen Ereignisse
vom 2. August 1944, als etwa 4.300 Sinti und Roma im Konzentrations-
und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet wurden. In zwei
Monaten hängt Raportoru 12 Leinwände an die hohen Wände des
Tancred-Bănățeanu-Saals im Nationalmuseum des rumänischen Bauern, die in
Trauerschwarz gemalt sind und auf denen er in einem symbolischen
orthodoxen christlichen Schlüssel die Wahrheit der 12 apostolischen
Kreuze erzählt: die Wahrheit über den Holocaust an Sinti und Roma. Über
ein Tabu, etwas, über das wir nicht sprechen. So wie wir auch nicht über
die 500 Jahre der Sklaverei der Roma sprechen.
Die 12 mit braunen Ölschichten behandelten Leinwände sind Zeugen
historischer Missstände mit starkem traumatischem Nachhall für die
Volksgruppe der Roma – eine grausame Realität, die in seinem Heimatland
weder auf institutioneller noch auf staatlicher Ebene offen diskutiert
wird. Rot und Braun sind chromatische Instanzen von Blut und Erde, die
sich in den Diagrammen des Künstlers vollständig wiederfinden.
Ein großer hölzerner Querbalken und Kutschenräder sind in der Form eines
Kruzifixes verschränkt und bilden das Herzstück der
Ausstellungsinstallation – es fungiert als Verweis auf die
Massendeportation, die 1942 von Diktator Antonescu beschlossen wurde und
25.000 Deportierte aus ganz Rumänien in die trockenen Ebenen
Transnistriens führte. 25.000, von denen nur die Hälfte die Kälte und
den Hunger überlebte, als sie sich auf diese lange Reise begaben, ohne
irgendeinen Besitz oder eine Sicherheit, außer der Hoffnung. Hoffnung
auf ein besseres Leben in der Fremde, denn die Beamten hatten ihnen
immer wieder gesagt: Ihr braucht nichts, ihr werdet ernährt und bekommt
eine Unterkunft. Man versprach ihnen Anstand. Doch sie fanden nur
sengende Hitze und eisige Kälte vor und waren gezwungen, bei knappen
Nahrungsmitteln schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Bald begann
Transnistrien für die gesamte Bevölkerung zu einem Massengrab zu werden.
Die Geschichten der Überlebenden aus dieser Zeit sind schwer zu
erzählen. Die Grabanlage zeugt von der Aufopferung der Mütter und
Familien für ihre Jüngsten, und sie enthält Kerzen und christliche
Ikonen als Nachstellung einer Trauerfeier, die sie nicht hatten.
Die Deportation in den vierziger Jahren bleibt ein trauriger
historischer Moment, der in in dem Roman „Șatra“ des rumänischen
Schriftstellers Zaharia Stancu aus dem Jahr 1968 textlich dargestellt
wird. Darin werden die Wirren der jungen und alten Roma und ihr
traumatischer Weg in den Tod beschrieben. Die Zahl der Opfer des von den
Nazis verübten Völkermordes an den Roma und Sinti beläuft sich auf
Hunderttausende, schätzungsweise eine halbe Millionen Seelen, neben den
sechs Millionen Jüdinnen und Juden.
Ilina Shileru
Bucharest, August 2022