Lorenzo Armendáriz (Mexiko, geboren 1961) erinnert sich an die großen
Hände und Ringe seines Großvaters. Dieser war ein großer, dunkler Mann,
der in einem Lastwagen lebte und “El Húngaro” (der Ungar) genannt wurde.
Als Kind besuchte er ihn, aber erst als Erwachsener erfuhr er, dass er
nicht aus Ungarn stammte, sondern Teil der mexikanischen
Roma-Gemeinschaft war. Sein fotografisches Projekt, eine innere Suche
nach seinen persönlichen Spuren und dem Porträt der Roma-Kultur, die in
Lateinamerika trotz ihrer jahrhundertealten Präsenz wenig bekannt ist,
entstand aus dieser Unruhe heraus. Seit 1995 hat Armendáriz ein
fotografisches Archiv über das Leben einiger Roma-Familien in Mexiko
aufgebaut. Dort hat er mit seiner Kamera das Leben und die Erinnerungen
der LUDAR festgehalten. Diese aus dem ehemaligen Rumänien stammende
Gruppe kam Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts nach Mexiko und
integrierte sich in die mexikanische Gesellschaft, indem sie auf der
Straße auftrat, Handel trieb und Wanderkino betrieb. Es waren nomadische
Familien, die in den 50er, 60er und 70er Jahren einen großen Teil des
mexikanischen Territoriums bereisten. Diese Erinnerung an das Wandern
ist das, was Lorenzo fotografiert hat, wo die Reise nicht eine Flucht
darstellt, sondern eine Lebensweise, um zu existieren und sich selbst zu
bestätigen. Seine Schwarz-Weiß-Bilder tauchen in das Leben und die
Geschichte von Roma-Familien ein und spielen mit Schatten, Reflexionen
und Atmosphären, um die Fotos zu lebendigen, kontextualisierten
Dokumenten zu machen, die darauf abzielen, Stereotype aufzubrechen.